Autor: Andrea Walter
Gestählter Bauch, Knackpo oder sinnliche Lippen sind Ideale von gestern. Die Frau und der Mann von heute lassen sich vom Intellekt anturnen. Bibliotheken sind die neuen Fitnessstudios, Online-Lexika das neue Youporn. Die Frage „Woran denkst du“, als Rückversicherung, ob der Partner im Geiste auch treu genug ist, verlangt nach neuen Antworten. Denn die Antwort sollte von nun an nicht mehr „An deine schönen Augen, mein Schatz“ lauten, sondern „Ich denke an deinen mega IQ, mein Superbrain.“ Im Bett wird philosophiert anstatt gestöhnt, ein bisschen Trivialität ist dabei hilfreich, um den vorzeitigen Orgasmus in den Griff zu bekommen. Die aktuelle Ausgabe der „Buchkultur“ erhebt sich zur Masturbationsvorlage und findet, neben Kleenex Tüchern, ihren festen Platz in der Nachttischlade, da wo einst das ÖKM gelegen hat. Präkoital wird nun gemeinsam im Abendseminar an der Hochschule Platz genommen. „Brain ist the new ass.“ Kurz zusammengefasst: Die Sapiosexuellen kommen –und „they wanna f*** your brains out!”
Ist Sapiosexualität das neue „Wahre“ oder eine neue Dimension der Oberflächlichkeit? Ein schäbiges Reduzieren des anderen auf seinen IQ? Ein neuer Fetisch? Diesen Fragen habe ich, bei meiner Recherche, versucht auf den Grund zu gehen.
Zunächst muss man wissen, um welche Wortschöpfung es sich beim Wort „sapiosexuell“ handelt: Sapere (lat. Wissen) und Sexualität (lat. Sexus, Geschlecht). Sapiosexuell beschreibt jene sexuelle Orientierung, die vorwiegend auf den Verstand eines anderen Menschen, als auf dessen Körper ausgerichtet ist, wobei die sexuelle Stimulation vor allem durch eine hohe Intelligenz erfolgt. Dieser Ausdruck hat sich, vor allem in den sozialen Netzwerken, bereits vor Jahren etabliert. Ein sapiosexueller Mensch fühlt sich demnach von der Intelligenz mehr angezogen, als vom äußeren Erscheinungsbild seines Gegenübers. Es erfolgt die Gleichstellung von klug und sexy. Sex wird zur cerebralen Angelegenheit!
Sapiosexualität gibt keine Auskunft über die sexuelle Orientierung, wie es die Begriffe Hetero- oder Homosexualität tun. Bei der Sapiosexualität geht es aber auch nicht um einen bestimmten Lebensstil wie bei der Metrosexualität, deshalb ist die Sapiosexualität am ehesten den Fetischen und Neigungen zuzuordnen. Interessant ist außerdem, dass durch Hervorhebung von Intellekt die Frage, ob das Gegenüber weiblichen oder männlichen Geschlechts ist, eine überwiegend sekundäre Rolle spielt. Ein, bislang noch relativ unerforschtes Phänomen, das in unserer Gesellschaft möglicherweise noch größere Wellen schlagen wird.
Aber betonen wir doch, neben all den anderen Attributen, Charakterzügen und Anturnern, nicht selbst den Reiz und die Wichtigkeit von Intellekt, bei der Auswahl unserer Partner? Streben wir nicht alle nach spannenden Wortwechseln, Scharfsinn, Tiefe und Wortwitz auf Augenhöhe? Ein Beispiel dazu ist das Kennenlernen im Internet, wenn wir magisch von der Eloquenz und dem Wortcharme des anderen angezogen sind, wenn wir verzückt unsere E-Mails checken, wenn uns eine Person, die wir noch nie getroffen haben, Herzklopfen bereitet. Eine ansprechende virtuelle Kommunikation kann binnen kurzer Zeit unglaublich intensiv werden, wenn uns das Gelesene und das Gehörte tief berühren, und Worte ohne sexuellen Kontext, uns vielleicht sogar sexuell stimulieren. Ist das gar die Variante „sapiosexuell-light“?
Was uns anturnt lässt sich nicht pauschalisieren, und ob nun „Dumm“ oder „Klug“ die besseren Orgasmen beschert und empfängt, lässt sich nicht erörtern. Lassen wir den Sex da wo er hingehört: Bei den Menschen, die einander begehren, einander lieben und einander anziehen, aus welchen Gründen auch immer.