Autor: Andrea Walter
Gedämpftes Licht, eine üppig florale Raumgestaltung, Harfenklänge, der Boden gepflastert aus Matratzen und Kissen, darauf ein in sich verschlungener Teppich von Menschen, die alle nur „Das Eine“ wollen. Was auf den ersten Blick wie ein sich anbahnender Gruppensex anmutet, ist ein relativ neue Sparte des Geschäfts mit der käuflichen Liebe: Eine Mischung aus jugendfreiem Swingen und spiritueller Selbstfindung.
Der moderne Homo sapiens hat sich in der Evolution vom anarchischen Vormenschen zum sozialen Wesen entwickelt, der eine mehr, der andere weniger. Höher entwickelte soziale Fähigkeiten haben uns Menschen nicht nur in unserer persönlichen Entwicklung Vorsprünge gegenüber anderen Spezies verschafft, sondern waren einst für jedes Individuum überlebenswichtig, denn eine Isolation des Individuums außerhalb der Horde konnte tödlich enden. Heute, rund 200 000 Jahre später, haftet die Einsamkeit, als „sozialer Schmerz“ wie ein warnendes Überbleibsel aus vergangen Zeiten an uns, in denen Alleinsein noch unmittelbar lebensbedrohlich war. Hirnscanner haben bewiesen: Wenn wir von anderen abgelehnt und zurückgewiesen werden, reagieren dieselben Regionen der Großhirnrinde hinter der Stirn wie bei physischem Schmerz.
Für emotionale Ausgewogenheit und Glücksgefühle benötigen wir Körperkontakt und zärtliche Berührungen. Aber wir leben in einer kuschelfeindlichen Welt: Stress, Hektik und die Verlagerung von Sozialkontakten ins soziale Netzwerk lassen häufig kaum Raum für Zärtlichkeiten. Wir haben rund um die Uhr die Möglichkeit in virtuellen Kontakt mit anderen zu treten, trotzdem – oder gerade deshalb – herrscht bei vielen Menschen Einsamkeit, soziale und emotionale. In einer Welt in der Sex oftmals schneller verfügbar ist, als eine liebevolle Umarmung, war es nur eine Frage der Zeit bis ein gewiefter Mensch dieses unbefriedigte Grundbedürfnis zum lukrativen Geschäftsmodell erhebt.
Wie hättest du es gerne? Willst du den „ozeanischen Begleiter“ oder bevorzugst du die Löffelstellung? Bis du der „Hug me hard“ –Typ oder eher der Streichler? Willst du es zu zweit, zu dritt, zu mehreren? Das Kuschelangebot ist kreativ, doch konsequent: Denn der Intimbereich ist tabu. In beinahe allen größeren Städten werden Kuschelparties angeboten. Für etwa 20 Euro kann man 2-3 Stunden beliebig mit Fremden kuscheln, „teilkuscheln“, „fuß“ – oder „fingerkuscheln“. Der Dresscode: Hauptsache bekleidet, denn nackt ist illegitim! Das Ziel: Sich spüren, sich berühren, und am Ende die Gewissheit oder wenigstens die Hoffnung erlangen – man ist nicht verlassen.
Du willst einen Kuschler für dich alleine? Dann ist vielleicht das sogenannte Co-Sleeping etwas für dich. Als Co-Sleeping bezeichnet man im ursprünglichen Sinne, wenn ein Baby nahe bei seinen Eltern oder sogar mit im elterlichen Bett schläft. Ein neuer Trend: Co-Sleeping – Beischlaf jugendfrei – gegen Geld, für Menschen, denen es im Leben an einem Partner oder Bezugspersonen mangelt. Co-Sleeping zielt auf die Befriedigung von Bedürfnissen wie Geborgenheit und Zärtlichkeit ab – ganz ohne Sex. Für rund 80 Euro pro Stunde (exclusive Fahrtkostenerstattung) bekommt man die kuschelige Scheinwelt, die Berührungsdefizite ausgleichen soll, direkt in sein Bett geliefert. Aber Achtung – auch hier bleiben die Hände im oberen Tanzbereich!
Du bist begeistert vom professionellen Kuscheln? Dann lass dich zum zertifizierten Kuscheltrainer ausbilden, denn auch das ist selbstverständlich ein weiteres rentables Segment des Kuschelgewerbes. Für die Seminarpausen wurde neben dem Kaffee – und Kuchenbuffet ein kleines Verkaufsortiment aufgebaut: Oxytocinspray, Glückssteine und kleine Liebes-Vodoopuppen – alles selbst gebraut und selbst gefertigt von der Kuschellehrerin – können hier käuflich erworben werden.
Kuschelpartys, so heißt es sinngemäß auf diversen websites von Kuschelanbietern, leisten einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des gesellschaftlichen Berührungsdefizits. Mir erscheint der Gedanke etwas skurril, und auch die Wissenschaft steht dem käuflichen Gekuschel skeptisch gegenüber. Denn Körperkontakt den wir als befremdlich empfinden, kann zu purem Stress führen. Unser Körper schlägt Alarm, wenn das normale Distanzverhalten missachtet wird. Anstelle des Erreichens von Glücksgefühlen, wird dann nämlich das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet. Ob unter den Berührungen eines Fremden Menschen das Bedürfnis nach Nähe gestillt werden kann, oder ob das ersehnte Gefühl auf der Strecke bleibt, muss jedoch jeder für sich entscheiden und feststellen.
Auf der Strecke bleiben jedenfalls die Menschen, welche die zum Teil doch recht hohen Kuschelgebühren nicht aufbringen können. Die Kuschelbranche zielt also – paradoxerweise und wider der achtsamen Ideologie und der hübschen Slogans der Anbieter – auf die Wohlstandsgesellschaft ab, und nicht auf die sozial Schwachen. Nähe ist Luxusgut. Wir kuscheln, weil wir es uns leisten können.